Müssen sollen oder besser möchten wollen....

Sind Sie verwirrt, wenn Sie den Titel dieses Beitrags lesen? Lesen Sie ruhig weiter, denn Verwirrung eröffnet oft erst die Möglichkeit, Neues zu entdecken. Wenn Sie nicht verwirrt sind, liegt es vielleicht daran, dass Sie sowieso nie den Eindruck haben, Sie „müssen“ jetzt etwas tun – womöglich etwas, das Ihr Chef/Ihre Chefin oder Ihr Partner oder ihre Partnerin von Ihnen verlangt. Glückwunsch, das bedeutet, Sie gönnen sich immer Ihre Autonomie und tun nur Dinge, die Sie auch tun möchten. Das heißt im übrigen nicht, keinerlei Auswirkungen des eigenen Tuns auf andere Menschen zu beachten. Wenn Ihre Verwirrung daran liegt, dass Sie angesichts tagtäglich empfundener Zwänge eher ärgerlich sind und daher die Überschrift komplett bekloppt und unverständlich finden, dürfen Sie für sich entscheiden, ob Sie den weiteren Gedanken eine Chance geben möchten. Denn: Müssen müssen Sie nicht...nie... 

 

Und jetzt kommt es ganz dicke: Streng genommen müssen wir noch nicht mal in Corona-Zeiten im Supermarkt eine Maske tragen. Auch wenn das „Maskenpflicht“ heißt oder in Verordnungen etwas von „müssen“ steht: Es handelt sich um eine Erwartung, die andere an Sie haben. Und als Mensch mit unserem Verstand und Willen, haben wir immer die Freiheit uns zu entscheiden, dem nachzukommen oder nicht. Erwartungen nicht gerecht zu werden hat natürlich seinen Preis: Manchmal in Form von Bußgeldern, manchmal in Form von nachdrücklicher verbaler Ansprache (ich meine angebrüllt werden) oder der Aufforderung, doch bitte den Ort des Geschehens zu verlassen. 

 

Es könnte also hilfreich sein, sich das immer wieder in Erinnerung zu rufen: Wenn wir den Eindruck haben, dass andere etwas von uns verlangen - wodurch auch immer legitimiert - oder wir glauben, einer Forderung gegenüberzustehen, dann ist das immer nur die Äußerung einer Erwartung. Solange diese Äußerung nicht mit Mitteln der konkreten Gewaltausübung einhergeht, haben wir immer die Wahl: Komme ich der Erwartung nach oder lasse ich es sein?

 

Klar, wenn der Staat Erwartungen formuliert, ist der Preis der Nichterfüllung recht hoch. Tatsächlich erleben wir uns jedoch auch sehr häufig in weit weniger gesetzlich geregelten Situationen in einer „müssen“-Haltung: Ich muss an dem Termin teilnehmen, ich muss Essen kochen, ich muss diese Präsentation fertig machen, ich muss zur Schwiegermutter. Und wenn wir meinen etwas tun zu müssen, das wir nicht wollen, hat das meist eine Auswirkung: Stress. Nicht nur in diesem Fall (an dieser Stelle, mache ich mich bei Klienten zunächst oft unbeliebt) ein Stress, den wir selbst gewählt haben. Denn wir haben entschieden, dass die Erfüllung der Erwartung in der Abwägung zur Nichterfüllung uns angenehmer erscheint. Und sei es, weil wir glauben, Pest gegen Cholera abgewogen zu haben. Hand auf´s Herz: Haben Sie schon einmal erlebt, dass jemand angekettet und mit der Peitsche traktiert in einen Besprechungsraum geschleppt wurde? Und trotzdem sagen so viele, dass sie in eine Besprechung mussten. Nein: Diese vielen haben sich alle entschieden, in die Besprechung zu gehen! Entscheidung ist der Preis der Freiheit. Und das wirkt manchmal reichlich anstrengend auf uns und kostet zugegebenermaßen auch oft Energie. Und sich zu sagen „ich musste ja“, entlässt uns ein gutes Stück aus der Anstrengung – auch aus der Anstrengung, die Auswirkungen der Nichterfüllung auszuhalten. Leider entlässt es uns nicht aus dem Stress, den wir erleben, wenn wir glauben, etwas tun zu müssen, was wir nicht tun möchten. Auf Dauer kann uns das fertig machen, weil wir uns ständig machtlos und ausgeliefert erleben. 

 

Also könnte es hilfreich sein, bei aller Mühsal, die die Erfüllung von Erwartungen mit sich bringen kann, sich der eigenen Wirksamkeit zu vergewissern, weil man sich sagen kann, dass man immer(!) selbst entschieden hat, etwas zu tun. Und sei es auch nur, weil man entschieden hat, dass man die vermuteten Auswirkungen der Nichterfüllung nicht tragen möchte. Manchmal kommt man bei der Ablehnung einer Erwartung sogar plötzlich zu viel besseren Lösungen. Und womöglich erkennt man auch einen Nutzen in der Erwartungserfüllung – für sich oder andere. Womit wir wieder bei den Masken sein könnten – oder auch besser nicht. Jedenfalls ist es viel schöner, möchten zu wollen als müssen zu sollen.

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